Geldgeschichten in unruhiger Zeit: Von Euro, Dollar und Renminbi

Die US-Konzerne haben sehr viele Arbeitsplätze der Konsumindustrie nach China exportiert, während sie auf Gebieten, wo China mit der Nachfrage nach Maschinen und anderen Investitionsgütern als Importeur auf dem Weltmarkt auftritt, weniger als Japan und Europa zu bieten haben. Die US-Konzerne zogen und ziehen große Vorteile aus ihrem Kapitalexport und den billigen chinesischen Arbeitskräften. Foto: AMagill Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

16. November 2010
Joscha Schmierer
Es ist gerade ein paar Monate her, dass in der Eurozone lauthals beklagt wurde, in New York hätten sich ein paar Großspekulanten verschworen, den Euro gnadenlos abwärts in Richtung Parität mit dem Dollar zu treiben. Dann zeigte sich, dass das Hauptproblem des Euro nicht noch so finanzstarke Währungsspekulanten in den USA waren, sondern die Schuldenexplosion in Griechenland und anderen Euro-Ländern wie Portugal, Spanien und Irland, die es diesen immer schwieriger machte, den Schuldendienst durch neue Kredite zu refinanzieren. Die sinkenden Preise, die für neue Staatsanleihen nur noch erzielt werden konnten und die steigenden Risikoaufschläge auf sie setzten vor allem Griechenland der Gefahr einer Insolvenz und des Staatsbankrotts aus.

Das waren so trübe Aussichten für den Euro, dass die vorübergehende Aufwertung des Dollars trotz der schwierigen Lage der US-amerikanischen Wirtschaft verständlich war. Eine Insolvenz der USA ist schließlich selbst bei größter Schuldenlast zumindest solange ausgeschlossen, als der Dollar die wichtigste internationale Währung bleibt und die USA ihre Schulden durch wachsende Ausgabe von Dollar bedienen können.

Als es aber der EU mit Hilfe des IWF gelang, einen Garantieschirm für die am meisten gebeutelten Euroländer aufzustellen und in Deutschland als gewichtigstem Euroland sich die Wirtschaft überraschend schnell zu erholen begann, während die USA immer neue Dollarspritzen ansetzen mussten, war es wiederum kein Wunder, dass der Abwärtstrend des Euro gegenüber dem Dollar gestoppt wurde und sich umkehrte. Jetzt beklagt man sich auf deutscher Seite schon wieder darüber, dass der Dollar gegenüber dem Euro seit Mitte des Jahres in zweistelligen Prozentanteilen an Wert verloren hätte.

Sobald jedoch erneut Refinanzierungsschwierigkeiten der Hauptschuldnerländer der Eurozone in steigenden Risikoaufschlägen auf dem Kapitalmarkt sichtbar werden, kommt auch der Euro wieder unter Druck gegenüber dem Dollar, jetzt aber wieder auf dem hohen Niveau aus der Zeit vor dem „rasanten Zerfall“ des Euro.

Eine Unterbewertung des Euro kann also nicht für das Leistungsbilanzdefizit der USA gegenüber der Bundesrepublik verantwortlich gemacht werden. Ohnehin befindet sich die Leistungsbilanz zwischen den USA und der Eurozone annähernd im Gleichgewicht, wie von deutscher Seite gern hervorgehoben wird. Schließlich beklagten sich die Europäer auch nicht darüber, dass ihr Leistungsbilanzsaldo mit Kalifornien negativ sei. Man könne nicht eine Region aus einem Ganzen herausgreifen und ihr das eigene Leistungsbilanzdefizit zum Vorwurf machen. „Wir beklagen uns ja auch nicht über die Exporterfolge einzelner amerikanischer Bundesstaaten“, meinte Finanzminister Schäuble vor dem G20-Gipfel in Seoul. „Denn seit wir in Europa den Euro eingeführt haben, ist nicht mehr der US-Handel mit Deutschland ausschlaggebend, sondern der mit der Gesamtheit der Euroländer. Und hier ist die Bilanz tendenziell ausgewogen. Wo also ist das Problem?“ (Spiegel 45/2010)

Aber ganz so einfach kann sich die Bundesrepublik der Kritik nicht entziehen. Wäre sie nicht Teil der Eurozone und immer noch DM-Land stünde sie unter wesentlich stärkerem Aufwertungsdruck als dies im Rahmen der Eurozone mit ihren schwächeren Partnern der Fall ist. Die Bundesrepublik profitiert sowohl im inneren Austausch der Eurozone davon, dass den anderen Mitgliedern trotz eventueller Wettbewerbsschwäche anders als früher die Abwertung als vorübergehender Ausweg verschlossen bleibt, sondern auch davon, dass ihr Konkurrenzvorsprung gegenüber Handelspartnern außerhalb der Eurozone in der Gemeinschaft der Währungspartner verschwindet. Die Bundesregierung sollte deshalb innerhalb wie außerhalb der Eurozone nicht allzu sehr die Rolle des einzigartigen Tugendboldes ausspielen. Ihre großen Vorteile aus dem Euro verpflichten sie auch in besonderer Weise gegenüber der Gemeinschaftswährung und stellen sie in die Verantwortung gegenüber der internationalen Wirtschaftsordnung. Man kann nicht die Vorteile einstreichen und sich dann über den Gebührenanteil beklagen.

Ende des alten Gleichgewichts: Der Aufstieg der Schwellenländer

In den vergangenen Wochen haben die Kritiker aus den USA ihr Defizit in der Außenhandels- und Leistungsbilanz mit den Überschüssen Deutschlands, Japans und Chinas erklärt und ihre Probleme in den Wirtschaftsbeziehungen mit diesen Ländern über einen Leisten geschlagen. Das ist Unsinn. Die Probleme der USA mit Japan und Deutschland entfalten sich im Rahmen der alteingesessenen G 7, unter hoch entwickelten Industrieländern, die im Großen und Ganzen ähnliche Probleme haben, darunter als Größtes: Wie können sie sich in einer ganz auf Wachstum eingeschworenen Ökonomie Wachstumschancen neu eröffnen, wo sie die Chancen auf traditionellem industriellem Niveau schon bis zum Äußersten ausgeschöpft haben? Und wie sollen sie gemessen am Wachstum mit den aufkommenden Schwellenländern mithalten, vor allem den größten und stärksten unter ihnen, China und Indien, aber auch Brasilien? Hier liegen ja die eigentlichen „Ungleichgewichte“ der Weltwirtschaft. Das alte Gleichgewicht herrschte unter den G 7 und bestand in einem gewaltigen Übergewicht gegenüber dem Rest der Welt. Durch den Versuch der Schwellenländer dieses Übergewicht nach und nach zu überwinden und gegenüber den fortgeschrittenen Industrieländern aufzuholen, wird auch das Gleichgewicht unter den G7 erschüttert. Die Kontroverse der USA mit Deutschland und Japan ist ohne die Furcht vor dem Aufstieg der Schwellenländer und speziell dem Aufstieg Chinas nicht zu verstehen. Gegenüber China können die USA die „Schuldfrage“ mit der Währungsmanipulation Chinas zu beantworten versuchen, eine Erklärung die gegenüber dem eher überwerteten Euro und Yen nicht funktioniert.

Bindung an den Dollar

Der „faule Trick“ Chinas besteht nicht etwa in einer willkürlichen Abwertung des Renminbi (Yuan), sondern in der Bindung der eigenen Währung an den Dollar, also in ihrer prophylaktischen Absicherung gegen eine zunehmende Dollarschwäche, die früher oder später aus der amerikanischen Wirtschaftspolitik unvermeidlich folgen musste. Die chinesischen Ökonomen konnten den Mechanismus von amerikanischer Überschuldung und Herstellung eines neuen „Gleichgewichts“ durch Dollarschwemme mit folgender Abwertung des Dollars ja bereits am Ende des Bretton-Woods-Systems in den 70er Jahren studieren. Die Situationen damals nach dem Vietnamkrieg und heute mit den Folgen des Irakkrieges und den Lasten aus dem im Unterschied zum Angriff auf den Irak international legitimierten Afghanistaneinsatz, der sich aber auch zu einem kostspieligen Krieg ausgewachsen hat, weisen viele Ähnlichkeiten auf. China konnte sich auf die kommende und heute aktuelle Situation einstellen.

Mit der Bindung seiner Währung an den Dollar sicherte es seine Exportmöglichkeiten früh gegen die absehbare Abwertung des Dollars. Zugleich ist diese Bindung an den Dollar auch eine gewisse Schranke gegen eine allzu zügellose Dollarschwemme, die ja eine Abwertung der Dollarreserven Chinas und einen Wertverfall seiner amerikanischen Staatspapiere nach sich ziehen würde. Dass China diese Möglichkeit der Kontrolle über die möglichen Folgen amerikanischer Politik nicht sofort und ganz aus der Hand geben will, hat eine gewisse Logik. Also bestreiten seine Vertreter gar nicht, dass sie vor der Notwendigkeit von Reformen ihrer stark exportorientierten Wirtschafts- und der entsprechenden Währungspolitik stehen, verweisen aber auf die Gefahren eines schnellen und radikalen Kurswechsels, der nicht nur für China sondern für die Weltwirtschaft fatale Folgen hätte. Mit dieser Argumentation zielen sie zugleich auf die Konfliktlinien unter den G7, die in unterschiedlichem Ausmaß an den Exportmöglichkeiten, die die chinesische Wirtschaftspolitik bietet, teilhaben. Mervyn King, der britische Notenbankgouverneur hat recht, wenn er meint: „Niemand schreibt China vor, seinen Wechselkurs an den Dollar zu koppeln.“ Aber es wäre ganz schön bescheuert, wenn es diese Kopplung rasch und radikal aufgeben würde.

Die US-Konzerne haben sehr viele Arbeitsplätze der Konsumindustrie nach China exportiert, während sie auf Gebieten, wo China mit der Nachfrage nach Maschinen und anderen Investitionsgütern als Importeur auf dem Weltmarkt auftritt, weniger als Japan und Europa zu bieten haben. Die US-Konzerne zogen und ziehen große Vorteile aus ihrem Kapitalexport und den billigen chinesischen Arbeitskräften. Sie verdienen mit am chinesischen Export von billigen Konsumgütern ins eigene Land. Zugleich haben die USA zu wenig in ihre eigenen industriellen Exportmöglichkeiten und die dafür erforderliche Infrastruktur investiert. Dieses strukturelle Versäumnis lässt sich nicht durch kurzfristige Abwertungen wettmachen.

Kräfteverschiebung im Ordnungsgefüge

Es ist Zufall, dass die herben Wahlverluste von Obamas Demokraten und seine weitgehend vergeblichen Versuche, die Partner der G20 auf die amerikanischen Vorstellungen eines weltwirtschaftlichen Gleichgewichts einzuschwören, zeitlich zusammentrafen. Doch illustriert das Zusammentreffen die große Gefahr, vor der die USA stehen: Während sie aus der Wirtschaftskrise nicht mehr ohne weiteres auf Kosten ihrer Partner und Konkurrenten einen Ausweg finden können, wenden sich im Inneren wachsende Kräfte gegen eine Politik der Verständigung und Kooperation. Die USA leiden unter den Kräfteverschiebungen im internationalen Ordnungsgefüge. Während ihre internationale Durchsetzungsfähigkeit abnimmt, wächst die innenpolitische Frustration über die noch kaum verstandene neue Lage. Unwillentlich mag dazu Obamas „Yes we can!“, wenn es rein national verstanden wurde, beigetragen haben. Allein und auf Diktat können die USA heute sehr wenig. Die internationale Situation können sie weniger denn je mit hegemonialem Druck in den Griff bekommen. Das war der Ausgangspunkt von Obamas Präsidentschaft. Was die Amerikaner alles nicht können, hat die Regierung Bush gezeigt. Nun aber trifft die Regierung Barack Obamas auf die verfahrene außenpolitische Lage und eine innere Bewegung, die dem Land umso trotziger die verbohrte Selbstbehauptung auf einem ganz eng verstandenen American way of life verordnen will.

Im Inneren liefe das auf eine immer schroffere soziale Ungleichheit hinaus, die Nicolas D. Kristof, Kolumnist der New York Times, den USA schon heute das Schreckbild einer Bananenrepublik vorhalten lässt. Er ruft dazu auf, in der politischen Landschaft nach den Wahlen die Abgründe zwischen den Einkommen nicht noch weiter wachsen zu lassen. Schon heute könnte ein südamerikanischer Caudillo stolz sein auf sie: „Für mich haben wir den Punkt einer Bananenrepublik erreicht, an dem unsere Ungleichheit sowohl ökonomisch verheerend als auch moralisch verwerflich geworden ist.“ Das eine Prozent der Reichsten erzielt heute rund 24 Prozent der Einkommen. 1976 waren es noch vergleichsweise bescheidene neun Prozent.

Im Äußeren könnte dieses gefährliche, narzisstisch gärende ideologische Gebräu zu einer Mischung aus mentalem Isolationismus und gelegentlichen brachialen Ausbrüchen führen. Es lag viel Häme in den Kommentaren zu Obamas Misserfolg bei den Wahlen und auf der G20-Bühne in Seoul und der Apec-Bühne in Yokohama. Wer es mit sich, den USA und der internationalen Ordnung gut meint, muss aber hoffen, dass Obama aus der doppelt schwierigen Lage herausfindet, in die nicht er, sondern die unvermeidlichen großen Kräfteverschiebungen in der Welt und eine viel zu lange uneinsichtige amerikanische Regierungspolitik das Land geführt haben. Es muss Barack Obama gelingen, den USA die neuen Kräfteverhältnisse in der Welt zu erklären und der Welt verständlich zu machen, dass auch das nicht von heute auf morgen geht. Wenn einer das kann, bevor es zu spät ist, dann doch vielleicht am ehesten er.

Joscha Schmierer

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.

 

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